A-Z der Augengesundheit

CVI – die cerebrale visuelle Wahrnehmungsstörung

Schüler:innen mit cerebral bedingten Sehstörungen fallen oft durch Unkonzentriertheit, Unaufmerksamkeit oder Leistungsverweigerung auf. Die Ursache dafür liegt in einer Fehlfunktion der Verarbeitung und Integration von visuellen Reizen im Gehirn.

zu unserem Schwerpunkt „Kinderaugen & Lernen

Was ist CVI?

„Zerebral (bzw. zentral) bedingte Störungen der visuellen Wahrnehmung („zerebrale Sehstörungen") bei Kindern und Jugendlichen werden unter dem Oberbegriff „cerebral visual impairment" (abgekürzt „CVI") zusammengefasst. (3)

In der augenärztlichen und orthoptischen Untersuchung finden sich bei manchen Kindern eine reduzierte Sehschärfe, eine nicht altersentsprechende Akkommodation, ein eingeschränktes Gesichtsfeld, reduziertes Kontrastsehen oder Störungen der Blickmotorik (z. B. der Fixation oder der Sakkaden) (1). Aber nicht immer sind diese visuellen Basisfunktionen betroffen, sondern die visuellen Verarbeitungsareale im Gehirn. Das bedeutet sehr oft: Auffälligkeiten im visuellen Verhalten bei unauffälligem Augenbefund.

„Zusätzlich zur Beeinträchtigung des visuellen Wahrnehmungsvermögens sind bei Kindern mit CVI häufig (> 60 %) auch kognitive Leistungen betroffen, insbesondere Aufmerksamkeit und Gedächtnis." (1)

Ursache

Die häufigsten Ursachen für CVI sind Schädigungen des Gehirns (Sauerstoffmangel, Geburtskomplikationen, Frühgeburtlichkeit, ...) und genetisch bedingte Entwicklungsstörungen des Gehirns.
„Studien zeigen, dass bei etwa einem Drittel der Kinder mit einer Sehbehinderung („low vision") eine zerebrale Ursache vorliegt. (2)

Symptome

CVI bedeutet die Störung der „ganzheitlichen" visuellen Wahrnehmungsfähigkeit:

  • Schwierigkeiten im globalen Überblick (sog. Szenenwahrnehmung) und der visuellen Suche. Keine vollständige und rasche Erfassung der Umwelt, des Arbeitsplatzes bzw. von Vorlagen, wie Bilder, Bücher oder Hefte.
  • Eingeschränkte Raumwahrnehmung (Größen, Längen, Distanzen, Richtungen wie rechts/links, Platzeinteilung, alle räumlich-konstruktiven Leistungen, d. h. Auge-Hand-Koordination fürs Schreiben, Zeichnen, für Konstruktionsspiele (Puzzle, Lego) und für handwerkliche Tätigkeiten. Dazu zählt auch der Zahlenraum (Mathematik).
  • Probleme im Erkennen/Wiedererkennen von Details wie Formen (Buchstaben), Objekte, Gesichter, Wege und Orte. Ältere Kinder mit CVI haben häufig Schwierigkeiten mit der ganzheitlichen Verarbeitung von Textmaterial. Das Buchstabe-für-Buchstabe Lesen nimmt (zu) viel Zeit in Anspruch, ist außerordentlich mühsam und erschwert das Lesesinnverständnis.
  • Störungen des visuellen Gedächtnisses betreffen vor allem das Arbeitsgedächtnis. Diese kurzfristige visuelle Merkfähigkeit benötigen Kinder fürs Abschreiben von der Tafel und für viele Arbeitsaufträge.
  • Die Folgen sind eine sehr aufwändige und unvollständige visuelle Wahrnehmungsstrategie und ein erhöhter Zeitbedarf, was die Bewältigung insbesondere von zeitkritischen Situationen und Aufgaben (z. B. Verkehrs-, Sport- und Spielsituationen, Unterricht) nachhaltig beeinträchtigt.
  • In den meisten Fällen stellen die genannten visuellen Wahrnehmungsprobleme eine nachhaltige Behinderung bei der Bewältigung der Anforderungen im Alltag und in der Schule bzw. Ausbildung und in herausfordernden sozialen Situationen dar. (3)

Therapie

„Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit CVI setzt eine multidisziplinäre Zugangsweise (Augenheilkunde, Orthoptik, Neuropädiatrie, Neuropsychologie, Frühförderung, Sehbehindertenpädagogik, Schul- und Sonderpädagogik) voraus, die die Befunde aller beteiligten Disziplinen berücksichtigt, integriert und schließlich eine ganzheitliche Beurteilung der individuellen Sehbehinderung sicherstellt." (1)

Störungen der Entwicklung oder Weiterentwicklung von Hirnfunktionen im Kindes- und Jugendalter sind schicksalshaft. Diagnostik, Behandlung und Förderung dürfen es nicht sein. Eine wesentliche Voraussetzung sind diagnostische Verfahren, die es erlauben, verschiedene Funktionsstörungen visueller Wahrnehmungsleistungen umfassend und altersentsprechend zu beurteilen.

Die CVI-Arbeitsgruppe von orthoptik austria (Verband der Orthoptistinnen und Orthoptisten Österreichs) unter der Leitung von Michaela Sieger hat Untersuchungsmaterialien für ein visuelles Funktionsprofil erstellt. Die orthoptische CVI-Diagnostik mit der CVI-Box von orthoptik austria umfasst alle Teilbereiche der zerebralen visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung und erstellt auch Empfehlungen für den Alltag sowie pädagogische Förderempfehlungen für die Schule. Voraussetzungen sind die augenärztliche Abklärung einschließlich Refraktionsbestimmung in Zykloplegie und ein erweiterter orthoptischer Status.

Orthoptistinnen, die eine CVI-Abklärung durchführen, finden Sie unter:
https://www.orthoptik.at/verband-orthoptik-austria/orthoptisten-suche/

Eine Information der ÖOG: Kommission Consilium Strabologicum Austriacum (CSA)

Literatur:
(1) Zihl, J. (2021) Zerebral bedingte Störungen der visuellen Wahrnehmung im Kindes- und Jugendalter (CVI) – eine multidisziplinäre Herausforderung für Diagnostik und Behandlung. blind-sehbehindert, 2021, im Druck.
(2) Boonstra, N et al (2012) Changes in causes of low vision 1988 and 2009 in a Dutch population of Children. Acta Ophthalmologica 90, 277-286.
(3) Zihl, J./Dutton, G. (2015): Cerebral Visual Impairment in Children Visuoperceptive and Visuocognitive Disorders , Springer Verlag.